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Gedicht des Monats

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Dezember-Gedicht

Nada Pomper (*1942)

Bitte

Wenn Du um etwas bittest,
nimmst Du die Hände zusammen.
Und möchtest sie offen reichen,
die Flächen nach oben,
wie wenn Geschenke
zum Feste dargeboten werden.
Und sie mögen leer sein,
doch offen,
ausgebreitet,
für einen Flüchtling
Tisch und Bett.

(Aus: Poesiealbum neu »Texte gegen Intoleranz«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

November-Gedicht

Jan Zänker (*1976)

Im Winter zu Johann S. laufen

Alles kann ich in der Stadt ertragen,
die Milch Kartons zu mir ins Haus.
Eine Stadtplanung zum Roden,
die schmutzige Ecke Vergangenheit.
Trockene Augen die mich umkreisen.
Einen Wecker der mich schlafen lässt.
Das kann ich alles schon gut ertragen.

Aber Schnee und Glatteis im November
dünn ausgelegt, fest genug für mein Gewicht
und Ledersohlen an mir, nein.

für R. K.

(Aus: Poesiealbum neu Heft 1/2007
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

Oktober-Gedicht

Barbara Schaffeld (*1952)
Jahrgang 89

Mit den Eltern nach Palma geflogen
als Au-pair in Florida gejobbt
von Düsseldorf nach Nizza getrampt
das Abitur in Belek begossen

Zu Weimar befragt
mit den Achseln gezuckt

(Aus: Poesiealbum neu »Deutschland. Gedichte«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

September-Gedicht

Dieter Höss (*1935)
Heimische Küche

Der neue Spanier
ist schon wieder weg.
Der Grieche hat sich
auch nicht gehalten.
Sogar ein Italiener
hat dicht gemacht.

Der Türke hat
gar nicht erst Fuß gefasst.
Der Chinese hat sich
nicht durchgesetzt.
Der Thai hat gleich
das Handtuch geworfen.

Zuletzt gab der
Mexikaner auf.
Jetzt eröffnet der Gasthof
ZUM OCHSEN wieder
unter neuer Regie
mit veränderter Karte:

Tapas
Kalamaris
Lasagne
Sushi
Chop Suy
Chilli con carne

(Aus: Poesiealbum neu »Essen & Trinken«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

August-Gedicht

Christel Hartinger (*1941)

bb today

ach, wie soll ich es fassen
daß mir sein vers
seine szene und sein notat
all die östlichen jahrzehnte
hindurch eine fordernde
erinnerung gewesen sind
heute aber akute
nachricht.

(Aus: Poesiealbum neu »Bilanz«, Heft 2/2007
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

Juli-Gedicht

Lutz Rathenow (*1952)

Dorotheenstädtischer Friedhof, Berlin,
der Dichter Hilbig wird beerdigt

1
Als ich den handtellervoll Erde in das Grab warf,
sah ich den Sarg nicht, nur Blumen Blumen Blumen,
frech farbig, kräftig funkelnd, als wollten sie
zu einer blühenden Sperre zusammenwachsen.
Vor dem Unten, das schrecklich schön immer
Aus seinen Zeilen leuchtete – vor der Dunkelheit,
die bald darauf sich auf Blumen und Holz legt.

2
Er hat keine Angst und muss sich nicht verstecken
In einem stählernen Sarg. Da liegt er nun, endlich
Zur Ruhe verführt. Der ewige Heizer in seinem Himmel
Aus Erde, ein Stück Kohle begleitet ihn auf dem Weg
Ins Unsichtbarsein.

(Aus: Poesiealbum neu »Die vier Elemente«, Heft 1/2008
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

Juni-Gedicht

Beatrix Haustein (1974-2002)
hunger u. durst

u. hier der zirkelkasten, das dreieck,
das lineal, linien ziehen, wohin,
kreise, kreisen kreisen, schwindlig
mein kopf auf dem tisch, wann
ist die milchpause, das pausenbrot von
vor drei tagen in der schultasche

unterrichtet in was, richtig
gerichtet, richten, rechts, links,
zwo, drei, vier, hand auf
der wange, von weither mutters
handtasche, mutters geldbörse
grüßt, augen geradeaus, verdroschen
anstatt zwei groschen für
die milch, heute ist fahnenappell

mutter sagte – du liegst mir
auf der tasche u. frisst mir
aus der hand – mein gammliges
schulbrot du, du, lass uns grüne
kreise ziehen im schulhof,
versteckt in der ecke

(Aus: Poesiealbum neu Heft 1/2010 »Essen & Trinken«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

Mai-Gedicht

Günter Ullmann (*1946)
GEDICHTEMACHEN

Kinder, wir machen ein Gedicht:
Erst löschen wir das Licht,
dann schließen wir die Augen,
daß wir zum Träumen taugen.

Bis die Worte auf den weißen Bogen springen,
laßt uns singen.

(Aus: Poesiealbum neu Heft 2/2008 »Gedichte für Kinder«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

April-Gedicht

Johanna Anderka (*1933)
Flaute

Schlafäugig das Meer
aus blauer Milch
der Himmel

Die Ufer schwimmend
aufgelöst was band
verwischt was trennte

Worte gibt es wie Steine
und andre wie Muscheln
leergespülte Schalen

Nur manche sind Boote
befrachtet mit Angst
und Vertrauen

sind Segler
geheimer Routen kundig
Ich warte auf Wind

(Aus: Poesiealbum neu Heft 1/2008 »Die vier Elemente«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)

März-Gedicht

Monika Hähnel (*1947)
Erinnerung

In der Erinnerung wächst
die zufällige Kussfrau
zur unsterblichen Geliebten
das verminte Land
zur glücklichen Insel

(Aus: Poesiealbum neu 2/2009 »Deutschland. Gedichte«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)


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