Gedicht des Monats
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Gedicht des Monats Dezember
Renate Axt
Erzählung
In König Drosselbarts weißem Bart
sitzen zwei Kinder
schreiben sich einen Brief
freuen sich
ziehen den Vorhang vors Gesicht
erzählen sich was
der große welke Mund
leistet ihnen Gesellschaft
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie
im »Poesiealbum neu: Gedichte für Kinder«
Gedicht des Monats November
Manfred Moll
weitergehend
weitergehend fallen wir auf
zuerst nur ein wenig
weil wir weiter gehen
dann mehr
weil einige uns nachblicken
dann sehr
weil viele sehen
dass einige uns nachblicken
dann fallen die ersten steine
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie im »Poesiealbum neu: Texte gegen Intoleranz«
Gedicht des Monats Oktober
Helga Rahn
Schreiben
ich schreibe
netze knüpfe ich
wortzeichen geben sich
und unbezähmbar
drängt es mich, das
unbegreifliche zu formen
aufbrandet die welle
mein herz schlägt
silbenweis`, der atem
trifft gefährten, findet
hände, die bereiten
spröde, groß ist jede lust
das wort, ob faden oder fels, ich spinne
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie
im »Poesiealbum neu: Lesen & Schreiben«
Gedicht des Monats September
Monika Hähnel
Mit den Fingern malen
Noch vor dem weißen Blatt
spür ich die flachen Muskeln
deiner Brust in meiner Hand.
Im Malen streicheln meine
blauen Finger deinen Leib,
schaffen dir Schatten
in der Mulde unterm linken Arm
und vor dem Beckenkamm.
Scheu tastet meine Hand
in deinen Schoß.
Dein Glied rollt sanft mir aus der Farbenhand,
der Schenkel drunter schimmert kühl,
der Blattrand schneidet dir ins Bein.
Das Bild gesteht dir eine Schuld:
Ein Torso warst du mir.
Begehren – Ursache,
warum die Sprache schwieg.
Nun, mit der Farbe, sag ich dir,
was in mir wächst:
Das Blau in allen Tiefen
meint dich ganz.
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie
im »Poesiealbum neu: Bild und Bildner«
Gedicht des Monats August
Johanna Anderka
Flaute
Schlafäugig das Meer
aus blauer Milch
der Himmel
Die Ufer schwimmend
aufgelöst was band
verwischt was trennte
Worte gibt es wie Steine
und andre wie Muscheln
leergespülte Schalen
Nur manche sind Boote
befrachtet mit Angst
und Vertrauen
sind Segler
geheimer Routen kundig
Ich warte auf Wind
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie
im »Poesiealbum neu: Die vier Elemente«
Gedichte des Monats Juli
Sigrid Lichtenberger
Die Nachbarin
– Ich kannte sie ja kaum
– Ich habe sie immer gegrüßt
– Schließlich ging sie auf niemanden zu
– Sie tat als brauche sie keinen
– Sie hatte ihren Stolz
– Und wer will sich schon aufdrängen
– Wenn sie sprach, redete sie nur von sich
– Sie hatte Schmerzen
– Ich habe sie einmal besucht. Alles schien in Ordnung
– Was wussten wir wirklich von ihr
– Sie hat immer pünktlich die Treppe gewischt
– Manchmal fuhr sie fort. Wir wussten nicht wohin
– Diesmal dachten wir, ist sie länger fort geblieben
– Aber sie war nicht fort
– Wir kannten sie kaum
– Gestern hat man sie gefunden
– Heute steht in der Zeitung: Sie nahm Tabletten
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie
im »Poesiealbum neu: Deutschland.Gedichte«
Gedichte des Monats Juni
Zdenka Becker
EINE ERDBEERE FÜR DICH
und eine für mich
ein stück melone
und ein paar weichseln
ich erfreue mich
an deinem hunger
und du streichelst
unentwegt die kirschkerne
unter meiner bluse
die widerspenstig
gegen die blaue seide drücken
sich den weg bahnend
zu dir
in deine hände
in deinen mund
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie
im »Poesiealbum neu: Essen & Trinken«
Gedichte des Monats Mai
Christel Hartinger
Sonntag in Esens
Alle Pflastervierecke liegen
Programmatisch ausgerichtet.
Der Grashalm hat keine Chance
Und der Zentimeter keinerlei
Freiheit zwischen den Maßen
Die hier alle
Zu Ende gemessen sind.
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie im »Poesiealbum neu: Stadtlandschaften«
Gedichte des Monats April
Georg Oswald Cott
Der Riese reckt sich
er will mich
zerdrücken
ich schlage
die Augen nieder
zittre
bin stumm
ich blinzle
der Riese wirft
lange Schatten
ich schaue
genau hin
da steht einer
nur günstig im Licht
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie im »Poesiealbum neu: Gedichte für Kinder«
Gedichte des Monats März
Hans Dietrich Bruhn
Kunsthalle
Dame und König
auf dem Schachbrett aus
Licht und Schatten
das Angebot eines gelben
Kreises und der Vorwand
des blauen Quadrats
wie nackt sind heute
die Äpfel und
die Gitarren
sagen zwei Besucher
Mann und Frau
und ziehen sich aus
Dieses und viele weitere Gedichte finden Sie im »Poesiealbum neu: Bild und Bildner«
Februar-Gedicht
Wolfgang Rischer
HEINZ MÜLLER: IM TREPPENHAUS
Öl auf Hartfaser 1994
Die knarrenden Stufen aus dunkel lasiertem Holz
in der Mitte, wie hier, meist hell & ausgetreten von
müden oder eiligen Füßen, wer kennt all das nicht, das
stets etwas wacklige Geländer mit Wurmlöchern hie & da
halbhoch Ölfarbe an den Wänden, grau oder graublau
jedenfalls oft, mit diesem abgesetzten Farbstrich, darüber
der Kalkanstrich blätternd. Zementfußboden.
Wer erinnert sich nicht, das gedämpfte Licht untertags
die Funzel, der stechende Geruch nach altem Bohnerwachs,
Farbe & feuchtem Kalk
Trödelnd auf halber Treppe, die Gestalt geländerhoch, dort
das bin ich. Mir ist jede Stufe bis zur 2. Etage vertraut.
Kriegseinquartiert warten wir auf FELDPOST. Ich höre
Stimmen, schlagende Türen, Briefkastenklappern.
Das Ächzen der Dielen. Die Schritte meiner Mutter.
Unheimlich der Treppenhaushall, der alles verstärkt.
Könnte ich die Hoftür öffnen, blendete das Licht
: Das alles ist noch immer vorhanden im halbdunklen
Gedächtnisraum, nur nicht dieses Bild. Aber es ist
alles wie damals. Der Handlauf. Das Fenster. Die Farben
(Aus: Poesiealbum neu Heft 2/2010 »Bild und Bildner«
Edition kunst & dichtung, Leipzig)
Januar-Gedicht
Vénus Khoury-Ghata
Comment écrire un poème
Invite un oiseau sur ta page
fais-le suivre de son ombre
d'un arbre
et de quelques feuilles mortes
Demande au vent assis dans la marge
de souffler entre les lignes
de droite à gauche
de gauche à droite
qu'il entraîne dans une folle sarabande
voyelles et consonnes
virgules et points d'exclamation
Attends la fin de la tempête
pour relier l'oiseau à l'écriture
l'écriture à l'ombre
l'ombre à l'arbre
que tu secoueras très fort
ton poème tombera comme un fruit à tes pieds
(Aus: La voix des arbres,
Le Cherche-midi, Paris 1999)
Wie du ein Gedicht schreiben kannst
Lad einen Vogel auf deine Seite ein
laß seinen Schatten ihm folgen
dann einen Baum
und ein paar welke Blätter
Bitte den Wind, der am Rand des Blattes sitzt
zwischen die Zeilen zu blasen
von rechts nach links
von links nach rechts
und wild zum Tanzen zu bringen
Vokale und Konsonanten
Kommas und Ausrufezeichen
Warte das Ende des Sturmes ab
dann verbinde Vogel und Schrift
Schrift und Schatten
Schatten und Baum
den mußt du fest schütteln
und dein Gedicht fällt dir wie eine Frucht vor die Füße
(Aus: Das Fest des Lebens, Band 4,
Verlag Im Wald, Rimbach 2oo1)
Übertragen von Rüdiger Fischer